An der Belastungsgrenze
Wenn man das Ende des letzten Jahres als Test herangeführt hätte, wie es in den Lehrerzimmern der Republik aussieht, wäre man wahrscheinlich mit sehr hohen Inzidenzwerten herausgekommen, was Wut, Frust und Erschöpfung angeht.
Seit Beginn der Pandemie fühlt man sich allein gelassen, und die Ansprüche, die dennoch gestellt werden, lassen eine Unterstützung seitens der Politik vermissen.
All das traut man sich gar nicht mehr anzusprechen, ohne wie eine ausgeleierte Kassette zu klingen. Wobei dieser archaisch anmutende Tonträger eine gute Überleitung für den Stand der Digitalisierung darstellt. »Aber Halt!«, werden einige rufen, »So schlimm ist es nicht überall. Es wurden große Schritte gemacht.« Ja, das stimmt. Aber schon in der letzten Kolumne mahnte ich an, dass wir nun alles dafür tun müssen, damit es weitergeht. Das bedarf aber Wille, Planung und Weitsicht.
Der richtige Zeitpunkt ist nie
Jeder, der in der Schule arbeitet, weiß, dass die Zeit für große Veränderung eigentlich nie wirklich da ist. Man bräuchte Schulschließungen ohne Unterricht, um sich vernünftig orientieren zu können. Da das utopisch ist, bleibt die Herkulesaufgabe bestehen, sich auf eine ungewisse Zukunft vorzubereiten, während gleichzeitig versucht werden muss, die Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Und die füllen den Schulalltag neben dem Corona-Wahnsinn ohnehin schon voll aus.
Anders ausgedrückt könnte man aber auch sagen: Da sowieso nie Zeit ist, sollte man besser sofort beginnen und dafür einen Schritt nach dem anderen machen. Dafür braucht es zunächst Menschen, die Lust und Energie haben, dafür die notwendigen Veränderungen in die Hand zu nehmen. Einer der wichtigsten Punkte wäre beispielsweise ein Team von Kolleginnen und Kollegen, die mit Unterstützung der Schulleitung schon jetzt an einem pädagogischen Konzept inklusive einer Vision für die Zeit nach Corona arbeiten.
Dafür braucht es Planung, denn das beste Konzept verstaubt in der Ecke, wenn nicht klar ist, wie das Kollegium eingebunden werden soll. Gleichzeitig braucht es die Weitsicht darüber nachzudenken, was sein könnte, obwohl es noch nicht ist. Was so abstrakt daherkommt, betrifft die unterschiedlichsten Bereiche. In manchen Schulen gibt es zu wenige Computer, kein richtiges Internet oder WLAN und die Kolleginnen und Kollegen haben immer noch keine Dienstgeräte. Aber auch dann, wenn es frustrierend ist, ein Schiff auf dem Trockenen zu bauen, wenn kein Wasser in Sicht ist, ist dies genau das, was nun zu tun ist. Die Politik scheint die Zeichen erkannt zu haben, auch wenn zu wenig geschieht. Längst wurde die Strategie der Kultusminister erweitert, wird über eine Erweiterung des Digitalpakts geredet. Leise zwar, aber doch hörbar.
Und wenn es soweit ist, dann wäre es verheerend, wenn die Schulen immer noch an der Stelle stehen würden, an der sie vor Corona gestartet sind.
Möglichst viele mitnehmen
Die Bedingungen bleiben also schwierig, aber eine Verweigerungshaltung ist dennoch nicht mehr nachvollziehbar. Der Schlüssel für Veränderung liegt darin, Brücken zu jenen zu bauen, die der Veränderung von Schule zwar nicht enthusiastisch, aber auch nicht komplett verschlossen gegenüberstehen.
Es geht darum, den Tipping Point zu finden, jenen Punkt also, an dem die Stimmung kippt – zum Guten. Der Punkt, an dem alle Lust haben, daran zu arbeiten, die Schulen in der Zukunft ankommen zu lassen. Oder wenigstens damit zu beginnen, in diese Richtung zu gehen. Das geht nur, wenn möglichst viele an einem Strang ziehen.
Tatsächlich hat sich bereits vieles getan. Es bestehen Konzepte, es gibt Best-Practise-Beispiele, die digitale Infrastruktur wurde ausgebaut, es gibt immer mehr Fortbildungen. In diesen besonderen Zeiten macht das die Schulentwicklung nicht zum Selbstläufer. Aber wenn alle anpacken, dann sollten einige wichtige Schritte dennoch möglich sein. Es ist Zeit zu handeln!
Dies ist ein Kommentar von Bob Blume. Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.